Fachpsychologe für Psychotherapie FSP
Fachpsychologe für Klinische Psychologie FSP
Fachpsychologe für Rechtspsychologie FSP,
Rechtspsychologischer Gutachter SGRP/SSPL
Praxisbewilligung der Direktion der Gesundheit des Kt. Zürich
Eidgenössisch anerkannter Psychotherapeut
Dr. phil. H.-W. Reinfried
Psychotherapie hinter Gefängnismauern
Suche nach Handlungsoptionen in einem unfreien Raum
Die Bedeutung der Psychotherapie im Strafvollzug ist häufig Gegenstand ideologisch gefärbter Debatten. Auf der einen Seite stehen jene, die die disziplinierenden und strafenden Institutionen des Staates mehr oder weniger ablehnen, auf der anderen Seite jene, denen ein psychologisch abgestütztes Verständnis von Straftätern suspekt ist. Dahinter steht die Frage, aus welchen Gründen Menschen straffällig werden und inwieweit sie zur Besserung fähig sind. Wie bei allen solchen Debatten leidet auch hier die genaue Betrachtung von Sachverhalten.
Biographien und Erklärungen
Der Psychotherapeut Hans-Werner Reinfried schildert Personen, die er im Gefängnis mehr oder weniger lange therapiert hat. Einfühlsam und präzise beschreibt er Lebenswege, die zumindest zeitweilig ins Gefängnis führten. Jenseits einer ideologischen Frontstellung bietet er keine einheitliche Deutung delinquenten Verhaltens. Er schlägt die Menschen, die er therapiert hat, nicht über einen Leisten, indem er zum Beispiel grundsätzlich widrige Lebensumstände für das Abrutschen in Kriminalität als Entschuldigung anführt. Vielmehr versucht er in jedem Einzelfall herauszufinden, ob der Täter nicht doch ein Potenzial aufbauen konnte, das ihm auch andere Handlungsoptionen als die der Delinquenz eröffnet hätte. "Die Erklärungen der Psychologie werden bis heute vorwiegend dazu benutzt, um vor Gericht strafmildernde Umstände anführen zu können. Ihre wesentlichen Aussagen sollten jedoch dazu herangezogen werden, um eine Tat besser erklären und eine allfällige Behandlung planen zu können".
Reinfrieds Buch gehört zum Aufregendsten, was man zum Thema Therapie und Strafvollzug lesen kann, auch wenn seine Beschreibungen in einem äusserst nüchternen Ton gehalten sind. Der Autor stellt dar, wie unterschiedlich die Schicksale sind, die sich unter dem Dach eines Gefängnisses zusammenfinden. Ohne die Institution des Gefängnisses grundsätzlich in Frage zu stellen, zeigt er im einzelnen auf, dass die Antwort der Gefängnisstrafe auf die jeweils problematischen Biographien der Delinquenten allzu ungenau ist. Denn wie im täglichen Leben richten sich die Insassen eines Gefängnisses ganz unterschiedlich in ihrem Schicksal ein. Der Freiheitsentzug, der für den einen eine kaum tragbare Belastung darstellt, gewährt dem anderen endlich eine gewisse Stabilität in der Lebensführung, in der Ernährung und gesundheitlichen Versorgung. Und Reinfried erwähnt immer wieder, wie produktiv sich im einzelnen Fall die Chancen einer Berufsausbildung hinter Gittern auswirken können, sofern sie nicht durch die im Gefängnisleben angelegte Gewöhnung an Abhängigkeit und Passivität wieder zunichte gemacht werden. Die Aufgabe des Therapeuten sieht Reinfried zunächst darin, den Delinquenten zu helfen, ihre Situation zu deuten. Gelingt dies, besteht eine gewisse Chance, dass sie ihre zeit im Gefängnis ohne zusätzliche Schädigung überstehen. Im günstigen Fall kann im Zusammenspiel zwischen Therapie und Straf-vollzugsmassnahmen eine Resozialisierung bewirkt werden. Aber eben nur im günstigsten Fall.
Geringe Erfolgsaussichten
Das "gefährliche Nebeneinander von Straf- und Heilgedanken" beeinträchtigt von vornherein die Chancen therapeutischer Arbeit. So macht Reinfried immer wieder darauf aufmerksam, dass die Abhängigkeit vom streng geregelten Tagesablauf eines Gefängnisses die Eigeninitiative der Insassen verkümmern lässt. Versucht der Therapeut, mit den Delinquenten ein Bewusstsein für die eigene Lebensverantwortung zu erarbeiten, geschieht dies in einem Rahmen, der dem krass widerspricht. Entsprechend nüchtern enden auch viele Fallbeispiele. Die Stabilisierung, die Reinfried während der Haftzeit bewirken konnte, zerbricht in den meisten Fällen nach mehr oder weniger kurzer Zeit in der Freiheit, weil die vielen Handlungsoptionen den ehemaligen Häftling überfordern. Psychotherapie im Strafvollzug, resümiert Reinfried, bringe zwei Prozent der Häftlinge Gewinn, zwei weitere Prozent der Häftlinge würden wenigstens vorübergehend stabilisiert. Um ein solches Resultat zu erzielen, seien Therapien mit insgesamt acht Prozent der Häftlinge nötig. Eine Verbesserung der Ergebnisse könnte eine therapeutische Betreuung in Freiheit bringen, die aber in aller Regel nicht angeboten wird. Hans-Werner Reinfried bezeichnet sein Buch als "Materialsammlung". Von 150 Fallgeschichten hat er 35 ausgewählt und nach Deliktarten gegliedert: Er schildert Affektmörder und Totschläger, Räuber, Diebe, Betrüger, Sexualtäter und Brandstifter. Beeindruckend ist, wie unterschiedlich die Charaktere sind, die in den verschiedenen Deliktbereichen auftauchen. Und auch die Sprache unterscheidet sich: Sie reicht von der relativ geringen Artikulationsfähigkeit der Gewalttäter bis hin zur phantasiereichen Rede der Betrüger.
Gerade die eingeschränkte Ausdrucksfähigkeit oder auch –bereitschaft der Gewalttäter stellt die Therapeuten vor eine schwierige Aufgabe. Denn die psychotherapeutischen Verfahren sind in einem artikulationsfreudigen, zum Teil sogar intellektuellen bürgerlichen Umfeld angesiedelt. Reinfried begegnet dieser Herausforderung, indem er die psychotherapeutischen Verfahren flexibel handhabt und dabei auch berücksichtigt, dass einige der Delinquenten Schwierigkeiten haben, neu gewonnene Einsichten auf verschiedene Sachverhalte anzuwenden. Der Therapeut muss also mit den Delinquenten häufig sehr viel eingehender über verschiedene Lebenssituationen reden, weil diese oft nicht in der Lage sind, Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten von sich aus zu erkennen. Reinfried verzichtet bewusst auf eine wissenschaftliche Formalisierung seines Materials. Um so stärker beeindrucken den Leser die einzelnen Schicksale, die Reinfried ausbreitet, ohne sich auf die Seite der Delinquenten zu stellen. Er beurteilt sie nüchtern, er zählt ihre Stärken und Schwächen auf, und zum Teil stellt er ungünstige Prognosen. Doch verstellt dieser nüchterne Blick nicht das Mitgefühl für Menschen, denen es nicht beschieden war, in einer Umgebung aufzuwachsen, die jenes Selbstvertrauen schafft, das zu einem normalen Leben ohne Straffälligkeit motiviert. Allerdings hütet sich Reinfried davor, im Sinne einer platten Milieutheorie immer nur die Lebensumstände für Delinquenz verantwortlich zu machen. Indem er sie einfach beschreibt, überlässt er dem Leser das Urteil darüber, welche Faktoren jeweils auf eine abschüssige Bahn geführt haben.
Dr. Stephan Wehowsky , Neue Zürcher Zeitung, Politische Literatur, 8.5.2000, Nr. 106 33
...Wie häufig versteckt sich in psychologischen oder psychiatrischen Büchern der Mensch hinter Theorien bzw. Diagnosen? Wie häufig erfährt der Leser mehr über das Weltbild des Autors als über den Kriminellen? Reinfried schreibt anders. Erzählerisch, wirklichkeitsgegerbt und sensibel schildert der Schweizer Psychologe in sechs Kapiteln seine therapeutischen Erfahrungen mit Affektmördern und Totschlägern, Räubern, Dieben, Betrügern, Sexualtätern und Brandstiftern. Dabei gibt er den Tätern ihre Geschichte zurück und fällt weder in den manchmal forschen Ton seiner Klientel noch in einen Wissenschaftsjargon. Er schreibt, wie er denkt: einfach, aufmerksam und klar. Insgesamt sind es 35 Fälle mit typischen Gemeinsamkeiten und individuellen Unterschieden. Immer arbeitet er das besondere Gefüge zwischen Familie, Gesellschaft und Individuum heraus, das in diesem - und nur in diesem - Fall zur Tat bzw. den Taten führte; Reinfried stellt Bezüge her zu sowohl wissenschaftlichen Studien als auch Alltagserfahrungen. Und im Gegensatz zu vielen Autoren (auch anderen Fachrichtungen) verschweigt er nicht, wie klein die Fortschritte zum Teil sind, wie zäh die Erfolge errungen werden müssen.
Fazit: Ein zutiefst humanes und kluges Buch eines klugen Mannes
Stefan Rusche, Literaturtest, Fachbuchempfehlung Medizin, Gerichtspsychiatrie
Reinfried zeigt anhand von vielen Fallgeschichten die Möglichkeiten des Erfolges und Misserfolges der Psychotherapie bei Strafgefangenen. Diese Möglichkeiten sind sehr umstritten. Der Autor kann aber zeigen, dass Psychotherapie gar nicht selten Resultate zeigt, sei es dass es nicht mehr zu Rückfällen in kriminelles Verhalten kommt, sei es aber namentlich, dass nach der Entlassung der Kriminelle sich nicht sofort wieder ein Delikt zuschulden kommen kommen lässt. Sogar nur diese Verschiebung spart dem Steuerzahler sehr viel Geld (was selbstverständlich nicht da wichtigste Ergebnis jener Psychotherapie ist). Das Buch ist vor allem für Juristen von grosser Bedeutung, die ja oft vor der Frage gestellt werden, ob Psychotherapie von Gerichten verordnet werden soll, ober ob man es den Strafgefangenen immer ermöglichen soll, sich einer Psychotherapie zu unterziehen. Andererseits ist das Buch aber auch aufschlussreich für jeden interessierten Mitmenschen. Die einzelnen Fälle zeigen eindringlich die schwierigen und oft tragischen Geschicke der Strafgefangenen, und es ist heute ja doch schon ein ziemlich grosser Teil der Bevölkerung, welcher hie und da straffällig wird. Der Autor schildert feinfühlig den besonderen Charakter der verschiedenen Straffälligen. Er geht auf das Macho-Gehabe der Mörder und Totschläger ein, die sich im Gefängnis hoher Achtung erfreuen. Er geht auf die ausweichende Art der Diebe ein, er befasst sich mit der beinahe charmanten Gewandtheit der Betrüger und dem völlig verschiedenen Charakter der Brandstifter. Deutlich sieht man, dass eine nur einigermassen funktionierende Familie ein Vorteil ist, denn dadurch haben die Betreffenden doch ein, wenn auch rudimentäres, Muster von menschlicher Beziehung, das zur sozialen Integration von grossem Nutzen ist. Die Fälle zeigen aber auch, dass es einfach immer wieder Straffällige gibt, bei denen Hopfen und Malz verloren sind. Früher hätte man in diesen Fällen von Psychopathie, von moral insanity gesprochen. Heute versucht man, diese Hoffnungslosigkeit anhand der schwierigen, unglücklichen Lebensgeschichte einigermassen zu verstehen.
Sehr differenziert geht der Autor auf die Art der Psychotherapie ein, welche er mit den Strafgefangenen betrieb. Zum grössten Teil ist sie natürlich beschränkt durch die Begrenztheit des Aufenthaltes im Gefängnis. Andererseits wirkt der Psychotherapeut auch als Berater und Pädagoge. Vor allem geht es darum, dem Strafgefangenen zu helfen, auf irgendeine Art und Weise eine Beziehung, in diesem Fall zum Psychotherapeuten, aufzubauen. Eine soziale Integration ohne jede Beziehungsfähigkeit ist ja kaum vorstellbar. Viele Fälle zeigen die Schwierigkeiten der Integration ausländischer Volksgruppen in den schweizerischen Alltag und in die schweizerische Gesellschaft. Die Wertvorstellungen sind eben zum Teil doch sehr verschieden. Blutrache ist bei uns eindeutig ein Verbrechen – in gewissen Kulturen hingegen ist es beinahe eine Pflicht.
Ich möchte betonen, das Buch ist nicht nur für Juristen interessant, sondern auch für juristische Laien. Es bringt uns eine Welt näher, die die meisten nur gerade peripher erleben. Der Autor vermeidet dabei einseitige Schuldzuweisungen. Er sagt nicht, dass unsere Strafanstalten fehlerlos seien. Er behauptete aber auch nicht, es wäre möglich, ideale Strafanstalten zu etablieren. Jedenfalls zeigt er sehr schön, dass es sich doch lohnt, bei jedem, der willig ist, sich einer Psychotherapie zu unterziehen, viel Energie aufzuwenden, um in einigen Fällen dann doch zu recht befriedigenden Resultaten zu kommen.
Schweizerische Juristen-Zeitung JSZ, 1.4.00, 96. Jahrgang, Dr. Adolf Guggenbühl-Craig, Zürich
Tiefenpsychologisch fundierte Therapie kann auch im Gefängnis in einigen Fällen mit Erfolg durchgeführt werden. Der Autor beschreibt anhand von 35 kommentierten Fallbeispielen anschaulich psychotherapeutische Prozesse in geschlossenen und offenen Strafanstalten. Seine Darstellung der Ursachen von Delikten und Ansatzmöglichkeiten therapeutischen Handelns sowie der Schwierigkeiten psychosozialer Therapie im Strafvollzug ist ein Gewinn für Theorie und Praxis. Das Buch vermittelt keine einfachen Rezepte, sondern kann zu eigenen pragmatischen und er Realität verpflichteten Lösungen bei der therapeutischen Arbeit mit Gefangenen beitragen. Darüber hinaus können alle anderen am Strafprozess Beteiligten – einschliesslich der Häftlinge selbst – wie auch Angehörige angrenzender therapeutischer Berufsgruppen von der Lektüre profitieren. Ein Vorwort und eine Einführung in die empirische Wirksamkeitsforschung im Strafvollzug ergänzen das Werk.
NPA Neues Polizei Archiv, Stuttgart, November 1999
Das Thema wurde in den letzten Jahren in der deutschsprachigen Literatur vorwiegend durch methodisch kontrollierte, quantitative Untersuchungen behandelt. Für die praktische Arbeit sind jedoch fallbezogene, qualitative Studien unverzichtbar. Hier setzt Reinfried mit seiner empfehlenswerten Arbeit an und präsentiert, wie eine im Ansatz klassisch-tiefenpsychologische Therapie bei der Klientel etwa durch stützende, strukturgebende und flexible Interventionen zu modifizieren ist. Er legt eine Einführung in die psychotherapeutische Arbeit im Justizvollzug auf der Basis von 35 Fallgeschichten vor. Anhand der Kasuistiken wird der Leser nicht nur mit therapeutischen Prozessen vertraut gemacht, sondern auch mit einigen ressourcenbedingten und möglicherweise psychotherapiehinderlichen Rahmenbedingungen des Strafvollzuges.
Soweit im Vorwort von Toman von Erfolg in der Psychotherapie von Strafgefangenen gesprochen wird, fehlen jedoch systematische Katamnesen. Lediglich in Einzelfällen liefert Reinfried eine über die Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt hinausgehende Nachbeobachtung, die jedoch keineswegs überwiegend ein positiv legal-prognostisches Verhalten beinhaltet.
Aus dem Kontext der Fallvorstellungen geht hervor, dass Reinfried nicht nur Gefangene im Strafvollzugskontext (in der Schweiz), sondern auch in der Institution des Schweizer "Massregelvollzuges" behandelte, der jedoch mit dem deutschen Massregelvollzug nur bedingt vergleichbar ist.
Wichtig für die aktuelle Diskussion in Deutschland ist die an mehreren Stellen im Buch herausgearbeitete Position, dass Psychotherapie nicht primär an der Delinquenz ansetzt, sondern an beschriebenen Störungen, die man auch im Alltagsleben findet und die im Kontext der Straftäter meist nicht die alleinige Ursache der Delinquenz sind. In legalprognostischer Hinsicht kann die Therapie insoweit "die Begleitumstände der Tat verändern mit der Hoffnung, dass der Täter bei einer besseren psychischen Verfassung von weiteren Delikten Abstand nehmen kann". In jedem Fall muss jedoch zunächst geklärt werden, "was denn überhaupt therapiert werden soll. Hier erweist sich eine Analyse der psychischen Hintergründe als günstig. Daraus lassen sich Ansätze ableiten, die auf konkrete therapeutische Ziele hinweisen".
Damit wird von Reinfried, auch wenn er bei der Kapiteleinteilung nach Deliktgruppen und nicht nach psychischen Störungen verfährt, die Einbettung der psychotherapeutischen Arbeit in den Erfahrungshinergrund der allgemeinen Psychotherapie herausgestellt. Hierzu gehören auch die in Deutschland angesichts der Gesetzesänderung zu §182 StVollzG heftig diskutierten Rahmenbedingungen der Schweigepflicht, die von Reinfried bei einer Kasuistik in einem Relativsatz gewissermassen als Selbstverständlichkeit abgehandelt wird ("obwohl ich ihm gleich zu Beginn meine Schweigepflicht gegenüber der Justiz erklärt hatte,...").
Insgesamt handelt es sich bei den Kasuistiken um charaktervolle Falldarstellungen, die einerseits anonymisiert sind, um den betreffenden Klienten zu schützen, andererseits vielfältiges Informationsmaterial bereithalten, um eine anschauliche und lebendige therapeutische Begegnung zu reflektieren. Das von Reinfried in der Zusammenfassung formulierte Postulat, mit den Erkenntnissen würde "ein Stück der Entdeckerfreude der Pioniere der Tiefenpsychologie in die praktische Arbeit " zurückkehren, dürfte sich erfüllen.
Auch und vielleicht gerade wenn die fachterminologische Abstinenz sich durch das gesamte Buch durchzieht und sechs Seiten Literaturangaben nicht auf den Text bezogen sind, dürfte eine Verständigung über die in den einzelnen Fällen vorliegenden Konflikte auch in Spezialkreisen unterschiedlicher theoretischer Provenienz nicht schwerfallen.
Widersprüche in Fachkreisen werden möglicherweise durch skeptische Statements im Nachwort hervorgerufen: "Nach meinen bisherigen Erfahrungen können etwa 2% aller Strafgefangenen tatsächlich aus einer Therapie Gewinn ziehen". Uneingeschränkten Zuspruch dürfte Reinfried am Ende des Buches erfahren, wenn er auf die Wichtigkeit einer adäquaten Nachsorge therapiebedürftiger Gefangener hinweist und etwa empfiehlt, Nachbetreuer sollten die Gefangenen bereits im Gefängnis kennen lernen können.
Norbert Konrad, in: Recht und Psychiatrie, Berlin 2000
Die Frage, ob inhaftierte Straftäter mit Erfolg psychotherapeutisch behandelt werden können, ist bekanntlich umstritten. Manche halten davon wenig oder gar nichts. Andere sind der Auffassung, dass Psychotherapie im Strafvollzug Die zumindest unter bestimmten Voraussetzungen bei einer freilich im Einzelnen zu identifizierenden und konkretisierenden Klientel sinnvoll angewandt werde könne. Viel spricht für die letztere Auffassung. Freilich muss man wohl zweierlei einräumen: Zum einen kommt für viele Insassen von Strafanstalten eine solche Form der Behandlung angesichts ihrer spezifischen Defizite und Probleme nicht in Betracht. Helmut Kury etwa – der ja über eigene therapeutische und pädagogische Erfahrungen im Umgang mit Straffälligen verfügt sowie die intramurale Behandlungstheorie und –praxis seit langem sachkundig verfolgt – hat denn auch kürzlich in einem Beitrag, der sich sehr wohl für ein realistisches Behandlungskonzept aussprach, festgestellt: "Ein Grossteil der Insassen benötigt keine Behandlung, zumindest keine psychologisch-pychotherapeutische, sondern vielmehr praktische Lebenshilfen, etwas hinsichtlich Arbeitsplatz, Wohnung, Partnerproblemen u.ä.. Zum anderen fehlt es an repräsentativen Untersuchungen, die Aufschluss über den Anwendungsbereich – namentlich den dafür geeignet erscheinenden Personenkreis – geben könnten.
Erst seit 1999 liegt eine Studie vor, die wenigstens Erfahrungen und Einschätzungen von Psychotherapeuten wiedergibt, die in deutschen Gefängnissen tätig sind (Willi Pecher: Tiefenpychologisch orientierte Psychotherapie im Justizvollzug). Sie verweist denn auch auf die besonderen Schwierigkeiten, die mit einer solchen Tätigkeit im Vollzug verbunden sind. Es geht dabei nicht nur darum herauszufinden, welche Insassen für eine Psychotherapie in Betracht gezogen werden können. Zur Diskussion steht gleichfalls nicht nur die fachliche Qualifikation des Therapeuten selbst – und seine jeweilige Orientierung an einer bestimmten Schulrichtung oder Methode. Vielmehr spielt auch die enge Vertrautheit mit dem sozialen Umfeld, also den Rahmenbedingungen therapeutischer Arbeit in einer Justizvollzugsanstalt, eine wesentliche Rolle
Dass diese Voraussetzungen nicht immer in gleicher Weise in der Person des Therapeuten zusammentreffen, erschwert offenkundig einen Ueberblick über Anwendungsbereiche und –möglichkeiten. Unter diesen Umständen kann man es nur begrüssen, wenn ein tiefenpsychologisch erfahrener und als solcher im Vollzug tätiger Psychotherapeut über Verläufe und Ergebnisse einer einschlägigen Tätigkeit informiert. Hans-Werner Reinfried hat dies in Form einer mehrgleisig angelegten Studie getan. Empirische Grundlage seiner Darstellung bilden 35 Fälle, an und mit denen er seine therapeutische Arbeit veranschaulicht. Die delikts- und täterorientierten Beschreibungen münden jeweils in ein Resümee, in dem der Verfasser seine Erfahrungen mit der Behandlung Straffälliger auswertet. In seiner Einleitung wie in seinem Nachwort geht er dann näher auf die methodischen Aspekte sowie auf die Möglichkeiten und Grenzen von Psychotherapie im Strafvollzug ein.
Dementsprechend stehen auch die sechs Tätergruppen im Mittelpunkt der Darstellung, an und mit denen Reinfried praktisch gearbeitet hat. Sie bilden denn auch den Hintergrund für den Buchtitel, der bereits die Reichweite der Tätigkeit in deliktischer Hinsicht andeutet. Zu diesen Klienten – die jeweils mit dem Vornamen genannt werden – zählten 15 Affektmörder und Totschläger, 26 Räuber, 28 Diebe, 19 Betrüger, Sexualtäter verschiedener Provenienz und sieben Brandstifter. Der Kreis der Täter, die sich einer Psychotherapie durch den Verfasser unterzogen und auf den sich seine Studie stützt, was also erheblich grösser als die Zahl seiner Fallschilderungen. Das gibt denn auch seinem Erfahrungsbericht ein stärkeres Gewicht.
In der Darstellung kommen nicht nur die jeweiligen Persönlichkeitsentwicklungen und Therapieverläufe, sondern auch die Auswirkungen auf das Verhältnis zu den Vollzugsbediensteten zur Sprache. Das macht einmal mehr die Binsenwahrheit deutlich, dass Therapeuten bei ihrer Tätigkeit die Beziehungsstruktur in einem umfassenden Sinne reflektieren müssen. Umgekehrt sollten Bedienstete eine Vorstellung davon entwickeln können, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit eine solche therapeutische Arbeit im Vollzug überhaupt geleistet werden kann. Reinfrieds Studie ist dementsprechend keineswegs nur für Fachleute gedacht, sondern in Anlage und Stil allgemeinverständlich gehalten. So kann jeder auch ohne psychotherapeutisches Spezialwissen aus der Lektüre des Werkes Gewinn ziehen. Das gilt natürlich vor allem für die im Strafvollzug Tätigen selbst. Die besondere fachliche Ausrichtung des Buches kommt – ausser in der Analyse der Fallschilderungen – vor allem in weiterführenden Literaturhinweisen zu Schluss zum Vorschein.
Besonderes Interesse verdienen namentlich die abschliessenden Bemerkungen, mit denen Reinfried seine therapeutische Arbeit mit den jeweiligen Tätergruppen kommentiert. Denn sie geben zugleich Aufschluss über Persönlichkeitstypen sowie Therapieeignung und –grenzen. Dabei wirkt sich nach den Erfahrungen des Verfassers die Haftdauer nicht selten in ganz unterschiedlicher Weise aus. Während lange Inhaftierungen sich bei Mördern und Totschlägern eher als kontraproduktiv erwiesen, waren sie bei Räubern tendenziell nützlich. Auch hier traten die bekannten Schwierigkeiten zutage, die schon anderwärts bei der Behandlung von Betrügern festgestellt wurden. Den heterogensten Täterkreis bildeten – jedenfalls in therapeutischer Hinsicht – die Brandstifter.
Reinfrieds anschauliche und lesenswerte Studie wäre gewiss missverstanden, wenn man in ihr ein Plädoyer für die Psychotherapie als "Methode der Wahl" sehen würde. Friedrich Lösel konstatiert in seinem Vorwort, das die Darstellung gleichsam als eine Art Bestandesaufnahme der gegenwärtigen Behandlungsforschung abrundet, dass es "keinen Königsweg für die wirksame Straftäterbehandlung" gibt (S.18). Aber er ist mit Walter Toman – der gleichfalls ein Vorwort beigesteuert hat – der Auffassung, dass in der Gesamtheit der Therapieformen, die im Justizvollzug zur Anwendung kommen können, auch die tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie ihren Platz hat. Diese beiden Vorworte geben freilich wie der Verfasser selbst unmissverständlich zu erkennen, dass eine solche therapeutische Arbeit nur auf der Grundlage eines Gesamtkonzeptes erfolgversprechend erscheint, das die Vollzugsanstalt als Ganzes einbezieht. Insofern zeigt das Werk Wege auf, wie eine anspruchsvolle Therapieform (Psychotherapie) in eine schwierige Lebenssituation (Inhaftierung) integriert werden kann.
Heinz Müller Dietz in, Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, Heilbronn,
Insgesamt 35 Falldarstellungen geben in dieser Veröffentlichung eine Einführung in die psychotherapeutische Arbeit im Gefängnis. Dabei werden Beispiele aller wichtigen Deliktarten beschrieben und psychologische Unterschiede insbesondere im Bindungsverhalten der einzelnen Tätergruppen ausgeführt. Bewusst wurden Fälle ausgesucht, die für diese Klientel typisch und häufig sind. Die Zusammenstellung zeugt von den grossen Unterschieden bei der psychischen Verfassung der Häftlinge und gewährt Einsicht in verschiedene Situationen im Gefängnis. Darüber hinaus finden die Leser/-innen auch Anmerkungen zum Strafvollzug und zu den besonderen Bedingungen, unter denen alle im Vollzug beteiligten Personen arbeiten. Das Buch richtet sich nicht nur an Psychotherapeuten, es kann auch mit Gewinn von allen an der Untersuchung, am Strafprozess und am Vollzug beteiligten Personen genutzt werden. Von Psychotherapie profitieren im Strafvollzug nur einige wenige Klienten; für sie lohnt es sich, das Angebot aufrecht zu erhalten oder zu schaffen.
Soziale Arbeit, Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen, Berlin, 2.2000
Psychotherapie im Strafvollzug ist ein umstrittenes Thema, wobei Behandlungsmassnahmen
einerseits gefordert werden, andererseits jedoch die Resozialisierung von Straftätern als zu kostspielig angesehen wird. Auch wenn eine in den 60er Jahren vorhandene "Behandlungseuphorie" einer realistischen Einschätzung gewichen ist, wird der Ruf nach härteren Strafen zunehmend laut, besonders wenn Kinder Opfer von Sexualverbrechen werden. Gerade diese Beispiele machen jedoch nach Meinung des Autors besonders deutlich, dass zwischen Behandlung und Strafe oder Spezialprävention und Sicherung oft allzu vordergründig polarisiert wird. Das Buch richtet sich an alle, die in irgendeiner Weise mit straffällig gewordenen Menschen zu tun haben, wobei die Fallgeschichten Hinweise zur Technik der Behandlung ergeben, die allenfalls ergänzenden Charakter zu den bisher bestehenden klassischen Regeln der Psychotherapie haben und oft ohnehin schon von erfahrenen Therapeutinnen und Therapeuten, wenn auch teilweise uneingestandenermassen, mit Erfolg angewandt werden.
Im ersten Kapitel werden 15 Klienten mit Mord und Totschlagsdelikten und deren therapeutischer Verlauf dargestellt. Bei zehn Klienten konnten kaum Veränderungen ausgemacht werden, einige hatten die Therapieversuche von sich aus abgebrochen, weil sie etwas anderes erwartet hatten. Mörder und Totschläger, so der Autor, weichen der komplizierten, reflektierenden Welt der Psychologie gerne aus. Sie bevorzugen einfache und klar strukturierte Verhältnisse, in denen sie nicht zu stark mit ihren Gefühlen konfrontiert werden. Positivere Ergebnisse konnten in de Gruppe der Räuber festgestellt werden. Besonders bei jugendlichen Räubern waren die Delikte von psychischen Konflikten mitbestimmt, so dass therapeutische Ansätze sinnvoll und notwendig erschienen. Diebe reagieren nach der Erfahrung des Autors auf ein therapeutisches Angebot deutlich anders als Mörder und Räuber. Sie empfinden Beziehungsangebote wesentlich stärker, reagieren jedoch auch mit ihren gewohnten Abwehrmechanismen heftiger als andere Klienten. Lassen sie sich wirklich auf ein Therapie ein, kann man sich auf ein lange und schwierige Arbeit gefasst machen. Die Resultate sind jedoch befriedigend. In den Therapien mit den Betrügern war en wesentlich längerer Zeitraum notwendig, um ein tragfähiges Arbeitsbündnis herzustellen. Nur in wenigen Fällen konnte man nach einer längeren Arbeit hoffen, dass der Klient auch tiefergehende Erkenntnisse gewonnen hatte, die sich auf sein Leben verändernd auswirken sollten. Es blieb immer ein Gefühl der Unsicherheit zurück. Bei Sexualtätern sollte nach Meinung des Autors besonders genau diagnostiziert werden, was die Ursachen der entsprechenden Handlungen gewesen waren, bevor entschieden wird, ob eine Therapie versucht wird oder nicht. Nicht die jeweiligen Therapeuten, sondern spezialisierte Gutachter sollten über eine Entlassung aus dem Gefängnis befinden. Therapeuten, die derart lange mit einem Klienten gearbeitet haben, laufen Gefahr, die nötige Distanz zu verlieren. Zudem beurteilten sie nicht nur den Gefangenen, sondern auch die eigene Arbeit. In dem Buch wird die besondere Funktion und Bedeutung des Therapeuten für den Strafgefangenen deutlich. In den anschaulichen Kasuistiken wird deutlich, dass Therapeuten die Funktion einer Probebeziehung für den Klienten zukommt. Therapeuten würden zum Vorbild und müssten teilweise auch Erlebnisse nachholen helfen, die die Klienten früher nicht erleben konnten. In solchen Zusammenhängen würden die Therapeuten zu Elternfiguren, die teilweise auch erzieherische Funktionen übernehmen müssten. Zusammenfassend bietet das Buch einen guten Einblick in die Psychotherapeutische Arbeit im Strafvollzug mit den jeweiligen Schwierigkeiten und Abweichungen, die durch die besondere Situation und das Setting bedingt sind.
Gerd Lehmkuhl, in: Zeitschrift für Individualpsychologie, München-Basel, 2000
Hans-Werner Reinfried berichtet in seinem Buch "Mörder, Räuber, Diebe.....Psychotherapie im Strafvollzug" in 35 Falldarstellungen über seine psychotherapeutische Arbeit in verschiedenen Schweizer Gefängnissen. Er gliedert die Fallbeschreibungen in die Tätergruppen "Affektmörder und Totschläger", "Räuber", "Diebe", "Betrüger", "Sexualtäter" und "Brandstifter". Dies fördert natürlich die Uebersichtlichkeit seiner Arbeit, bedeutet aber nicht, dass damit Hand in Hand spezifische Therapiehinweise für diese verschiedenen Tätertypen geliefert werden. Diesen Anspruch erhebt der Autor auch nicht, sondern er beschreibt als subtiler Beobachter, eher wie ein psychologisch feinfühliger Literat (er erinnert mich bisweilen an Jakob Wassermann) seine sehr persönlichen Erfahrungen mit jedem Einzelnen der besprochenen Täter.In zwei Vorworten gehen Walter Toman und Friedrich Lösel auf die besonderen Schwierigkeiten psychotherapeutischer Behandlung im Strafvollzug ein. Toman betont die grossen Unterschiede zwischen der üblichen Klientel klassischer Psychotherapie und der durchschnittlichen Strafvollzugsklientel, Lösel reflektiert Standards einer wirksamen Psychotherapie hinter Mauern.Der Autor selbst fasst ein seinen "Einleitenden Bemerkungen" seine Sicht des Themas zusammen. Er spricht über die schwierige Balance von Heil- und Strafaspekt im Vollzug, vom Pendelschlag, der sich in den letzten dreissig Jahren ereignet hat – zunehmend weg vom Gedanken, den Täter zu "heilen" hin zur Betonung von Sicherheit und Schutz der Allgemeinheit. Die Situation des Psychologen und Psychotherapeuten im Strafvollzug beschreibt er treffend folgendermassen: "Unbestritten sind heute die Verdienste der Psychologie bei der Erklärung von individuellen Ursachen für die Straffälligkeit einzelner Täter. Was daraus gefolgert werden soll, ist oft noch unklar." Entsprechend ist auch der Eindruck, den seine Fallgeschichten hinterlassen. Es gelingt ihm ausgezeichnet, den biographischen Hintergrund der Taten zu erhellen, über die Auswirkungen seiner psychotherapeutischen Bemühungen, den therapeutischen "Erfolg" besteht oft am Ende der Behandlung Unklarheit und mehr Hoffnung als Gewissheit. Gerade das ist aber das grosse Verdienst des Buches. Reinfried bringt keine Paradefälle erfolgreicher Betreuungsarbeit, sondern schildert sehr genau und anschaulich seine Alltagsarbeit mit schwierigen Persönlichkeiten. Er schreibt über seine kleinen Erfolge, aber auch über Misserfolge und Ungewissheiten.Sein Resümee über die Sinnhaftigkeit psychotherapeutischer Arbeit im Straf- und Massnahmenvollzug zieht er in seinen schon erwähnten "Einleitenden Bemerkungen", wo er schreibt: "Sehr wenigen Gefangenen gelingt durch Psychotherapie eine eigentliche Veränderung, die auch in der Freiheit anhält und die ihnen ein besseres und deliktfreies Leben ermöglicht. Wesentlich häufiger finden wir als Ergebnis einer Psychotherapie eine vorübergehende Stärkung der Persönlichkeit, die den Gefangenen einen besseren Abgang aus dem Gefängnis und einen Start im Leben mit Hoffnungen ermöglicht. Diese Effekte halten einige Jahre an; der Erfolg der Therapie scheint darin zu bestehen, dass die Rückfälle in alters deliktisches Verhalten entsprechend verzögert auftreten." Der Autor legt expressis verbis keine Forschungsbericht vor, sondern schildert Einzelfälle, Hinweise auf die entsprechende empirische Forschung gibt er in den Literaturangaben am Ende des Buches. Gleichwohl sind seine zusammenfassenden "klinischen" Beobachtungen am Ende jedes Tätertypen-Kapitels, wo er beobachtete Gemeinsamkeiten zwischen den gebrachten Einzelfällen berichtet, interessant und hilfreich.In einigen Passagen des Buches zeigt Hans-Werner Reinfried klar, dass er bereit ist, manche bisher kaum widersprochenen Uberzeugungen bezüglich der Betreuung und der Betreubarkeit von Straftätern in Frage zu stellen. Von der Illusion, Straffälligkeit mit psychotherapeutischen Mitteln in den Griff bekommen zu können und Kriminalität heilen zu können, ist bei diesem Praktiker jedenfalls nichts zu bemerken. Wenn er in seinem Nachwort schreibt, dass seinen bisherigen Erfahrungen nach zwei Prozent aller Strafgefangenen tatsächlich aus einer Therapie Gewinn ziehen können und sich weitere zwei Prozent wenigstens vorübergehend stabilisieren oder in Teilaspekten ihrer Persönlichkeit Entwicklungen durchlaufen, dann is das schon recht desillusionierend. Andererseits ist das Aufgeben von Illusionen schon immer ein Zeichen für Erwachsen werden und Reifen und sollte den Blick für tatsächlich Machbares schärfen.
Herbert Duffek in : Sozialarbeit und Bewährungshilfe SUB, Wien 2000
Das Buch ist zunächst ein Geschichten-, ein Lesebuch. Reinfried schildert seine Klienten gleichermassen einfühlsam und distanziert. Dazu bedient er sich einer schnörkellosen, präzisen Sprache. Die vorgelegten Lebensgeschichten handeln von wenig lebenstüchtigen, beziehungsschwachen, unsicheren Menschen, welche fast durchwegs an mangelndem Selbstwertgefühl leiden. Selbst bei Schilderungen von Straftätern, welche unfassbar schreckliche Taten begangen haben, vermag Reinfried jedwelche Dämonisierung von Kriminalität und von Kriminellen zu vermeiden.
Das Buch ist überdies ein Werkstattbericht über die Mühen eines Therapeuten im therapeutisch keinesfalls idealen Umfeld des Strafvollzugs. Reinfried berichtet über seine Arbeit mit beeindruckend redlicher Sachlichkeit und Selbstdistanz, ohne oberlehrerhafte Zwischentöne und ohne je einem wissenschaftlich-theoretischen Legitimationszwang zu erliegen.
Also bloss ein Buch für Laien? Das ist es gewiss auch. Keinenfalls zur Lektüre zu empfehlen ist es indessen Politikern. Denn es enthält keine allgemeinen oder gar einfachen Erklärungsansätze und Handlungsanweisungen. Ausdrücklich zu empfehlen ist das Buch aber all jenen, welche in irgendeiner Funktion im Strafvollzug tätig sind, vom Aufseher bis zum Direktor einer Strafanstalt. Ihnen vermittelt Reinfried unmittelbare Einblicke in die tatsächliche Knochenarbeit und in das Selbstverständnis eines im Vollzug tätigen Therapeuten. Keine Frage, dass dadurch im Vollzug noch immer dominante Phantasien über Therapien und Therapeuten abgebaut werden! Von direktem Gewinn ist die Lektüre des Buches aber auch für im Strafvollzug tätige Therapeuten, welchen die Berichte Reinfrieds eine kritische Messlatte für ein bench-marking ihrer eigenen Tätigkeit abgeben. Keine Frage auch, dass namentlich therapeutische Neueinsteiger im Strafvollzug von der nüchternen Sachlichkeit und Gelassenheit des Autors profitieren werden.
Prof. Dr. Andrea Bächtold, Kriminologisches Bulletin, 25/2, 1999 Lausanne
Der Autor beschreibt anhand von 35 kommentierten Fallbeispielen anschaulich psychotherapeutische Prozesse in geschlossenen und offenen Strafanstalten. Neben den Ansatzmöglichkeiten therapeutischen Handelns und den besonderen Problemen psychosozialer Therapie im Strafvollzug bringt die Arbeit vor allem für den therapeutischen Laien sehr instruktive Darstellungen der Ursachen von Delikten, vor allem der Motivationen der Täter. Auch für Richter, die schon lange in der Praxis stehen, ist das Buch ein ausgesprochener Gewinn, weil es eine Fülle von neuen Erkenntnissen über Motivation und Handlungsmuster von Straftätern bringt. Dass keine einfachen Rezepte versucht werden, sondern die Schwierigkeiten psychosozialer Therapie ebenso zugestanden werden wie pragmatische Lösungsversuche im Vordergrund stehen, erhöht den Wert der Arbeit.
Jeder, der über menschliches Verhalten zu urteilen hat, das strafrechtliche Tatbestände erfüllt, kann die Lektüre dieses spannenden Buches nur empfohlen werden.
Udo Jesionek in : Oesterreichische Richterzeitung, Wien 2001
Hans-Werner Reinfried, Mitbegründer der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtspsychologie SGRP/SSPL, stellt aus seiner jahrelangen Tätigkeit im Straf- und Massnahmevollzug in leicht verständlicher Sprache 35 Fälle dar. Diese Fallstudien sind für alle Berufssparten, die mit Strafverfolgung, -verurteilung und –vollzug zu tun haben, von Interesse. Das Erscheinen der Publikation ist als Beitrag zur heutigen Diskussion über die Psychotherapie im Strafvollzug besonders zu begrüssen.
Das Buch will keine einfachen Rezepte geben, wie die Menschen im Strafvollzug behandelt werden sollen. Es liefert vielmehr Hinweise auf die Komplexität der Probleme und die Notwendigkeit, den unterschiedlichen Bedürfnissen der einzelnen Häftlinge entsprechend individuelle Lösungen zu erarbeiten. So ist das Buch für die psychotherapeutisch tätigen Kolleginnen und Kollegen im Strafvollzug eine Einladung zur Reflexion ihrer eigenen Arbeit.
Offen spricht Hans-Werner Reinfried nicht nur über die Probleme der Häftlinge und über die Schwierigkeiten, die dem Psychologen in diesem Umfeld begegnen. Er thematisiert auch ohne Scheu die Probleme der Gegenübertragung und die psychischen Belastungen, denen PsychotherapeutInnen bei dieser Arbeit ausgesetzt sind. Mit Nüchternheit betrachtet er die Erfolge der Psychotherapie im Strafvollzug. Dabei warnt er JuristInnen, RichterInnen und PsychotherapeutInnen vor der Überschätzung psychotherapeutischer Einwirkungen.
Gleichzeitig tritt er jedoch vehement für die Notwendigkeit und Nützlichkeit dieser Tätigkeit für die Häftlinge und für die Justiz ein.
Dr. phil. André Gautier: Psychoscope, 10/1999, Bern
Der Umgang mit Jugendlichen mit Verhaltensschwierigkeiten, insbesondere wenn diese Schwierigkeiten in Straftaten münden, ist eine heikle und verantwortungsvolle Aufgabe – für Eltern, Lehrer, Mitmenschen und den Staat gleichermaßen. Das schweizerische Jugendstrafrecht berücksichtigt konsequent sowohl psychologische als auch pädagogische Gesichtspunkte und wird so den individuellen Erfordernissen der jugendlichen Entwicklungsphase in hohem Maße gerecht. Ungeachtet der Art und Schwere der Delikte werden Kinder und Jugendliche in vielen Fällen durch ambulante Hilfestellungen erfolgreich aus ihren Schwierigkeiten herausgeführt.
Hans-Werner Reinfried beschreibt anhand von 26 repräsentativen Fallbeispielen anschaulich psychotherapeutische Prozesse in der Begutachtung und ambulanten Betreuung von Jugendlichen und zeigt Möglichkeiten und Grenzen psychotherapeutischen Handelns auf. Das Buch vermittelt keine rezeptartigen Lösungen, sondern regt den Leser zu einem vertieften Verständnis jugendlicher Not und zu eigenen, der jugendlichen Verwirrung angemessenen Reaktionen an.
Aus dem Vorwort des Buches:
»Das Buch ist eine anregende, manchmal sogar aufregende Lektüre für jeden, der sich beruflich oder aus pädagogischem Interesse mit Kindern und Jugendlichen mit sozialen Verhaltens- und Anpassungsschwierigkeiten beschäftigt.«
Auszüge aus Rezensionen:
"Schlingel, Bengel oder Kriminelle" wird von theoretischen Überlegungen eingeleitet und ebenso am Schluss wieder ausgeleitet. Dazwischen finden sich viele Fallbeispiele. Neben den entwicklungspsychologischen Bedingungen, in denen Jugendliche sich verstricken und die zu Konflikten mit der Gesellschaft führen können (was ist kriminell?), beschreibt Reinfried auch die Wirkungsmöglichkeiten der Justizbehörden, wenn es darum geht Therapien zu verordnen. Spannend sind die Überlegungen zur "Vertragsbildung" mit den Jugendlichen und zur diagnostischen Abklärung und deren Effekt auf die Beziehung in einer späteren Therapie. Als selbständig arbeitender Therapeut reflektiert er die Bedingungen des eigenen Feldes, sozusagen das Klima des Ökotops "private Praxis" und der Gefahr, durch einseitige Klientel einer gewissen Betriebsblindheit zu erliegen.
In den Falldarstellungen finden sich Beispiele für Kurzinterventionen, für Begutachtungen und empfohlene Massnahmen sowie für psychotherapeutische und beraterische Arbeiten. Man erfährt jeweils etwas über das Delikt, über die Situation, aus der heraus dieses entstanden ist und über den Umgang des Jugendlichen (und seines Umfeldes) mit seiner Tat. Bei der Beurteilung und bei der Therapie liegt der Fokus auf der Frage, was im Leben oder in der Persönlichkeit des betroffenen Jugendlichen verändert werden sollte, damit er sich in die Gesellschaft integrieren kann. Manchmal gelingt dies den Jugendlichen von selber, manchmal in Zusammenarbeit mit dem Therapeuten und manchmal gar nicht.
Am Schluss fasst Reinfried seine Erfahrungen zusammen und nimmt Stellung. Obwohl eher ein Sachbuch, enthält es wichtige, auch berufspolitisch pointierte Stellungnahmen. So wenn sich Reinfried für mehr ambulante therapeutische Massnahmen ausspricht und die Bedingungen für deren Gelingen umreisst. Oder wenn er mit einer Bemerkung wie: "Die Kurzberatung erfordert wohl die längste Erfahrung mit Psychotherapie.." auf die Sorgfaltspflicht bei der Wahl der Interventionsrichtung hinweist. Ebenso wenn er über die Wirkung der Strafe auf den Täter und, nicht unwesentlich, auf das familiäre und auf das kollegiale Umfeld spricht.
Hans-Werner Reinfried hat viel Sorgfalt darauf verwendet, alle Seiten der Medaille zu erfassen. Seine Beschreibungen sind nie entwertend und er beschreibt die Menschen, sowohl die Jugendlichen als auch die Erwachsenen, in liebevoller, positiver und perspektivreicher Art. Die Taten werden nicht entschuldigt, im Gegenteil, sie dienen als Ausgangspunkt für die Übernahme von Verantwortung, sich und der Gesellschaft gegenüber. Und die gesellschaftspolitischen und die berufspolitischen Ansichten werden klar, aber nie polemisch und immer mit Lust zur Diskussion gestellt.
Das Buch hat viele Denkanstösse und es lohnt sich, v.a. bei den theoretischen Teilen, langsam und mit Musse zu lesen.
Philipp Ramming, Psychologie und Erziehung, Bern
Anders als die äussere Aufmachung es erst vermuten lässt, liest sich dieses Buch durch die spannend dokumentierten Fallbeispiele fast wie ein Kurzgeschichtenbuch. So ist es selbst für den nichteinschlägig gebildeten Leser leicht, die Wendung in so manch dramatisch verlaufender Lebensgeschichte von Jugendlichen zu verstehen.
Die vorwiegend männlichen Jugendlichen, die auf verschiedenste Weise auffällig werden und mit dem Gesetz in Konflikt kommen - sei es durch Drogendelikte, Diebstahl, Gewalttaten, Sexualdelikten u.a. - werden anhand von Fallbeispielen so vorgestellt, dass vielmehr die Dramatik und Not, in der sich die Jugendlichen befinden, zu Tage treten und ihre Taten in diesem Licht verständlicher erscheinen lassen. Aber gerade auch die Möglichkeit einer Wendung dieser Not, durch die Zusammenarbeit mit institutioneller Hilfe, gibt diesem Buch einen positiven Zugang zu dem Thema straffälliger Jugendlicher.
Für Menschen, die tagtäglich mit Jugendlichen in den verschiedensten Berufen arbeiten - sei es aus der Sicht einer Pädagogin im Umfeld Schule, oder als Psychotherapeutin in der eigenen Praxis oder einer Institution - kommt es beim Vergleich der einen oder anderen Fallgeschichte zu ähnlichen bis nahezu fast identischen erlebten Szenarien.
Hans-Werner Reinfried berichtet von seiner Arbeit mit straffälligen Jugendlichen in der Schweiz und lässt sich in seiner Arbeit empathisch auf seine jugendlichen Klienten ein. Einerseits spürt man sein grosses Verständnis für die oft unverstandenen Handlungen der Jugendlichen. Durch das feinfühlige Zuspielen von eigener Kompetenz an den Jugendlichen, das sich vor allem darin äussert, dass er diesem Zeit lässt, sich und seine Tat jenseits von Moral zu bedenken oder einfach darüber zu sprechen, wirkt seine Arbeit so gelassen und sympathisch. Aber anderseits ist der Autor - und dies muss er wohl auch - sehr konsequent im Abgrenzen seiner Rolle als Begutachter, Therapeut oder psychologischer Berater.
So folgen die Fallgeschichten sowie ergänzende psychologische und soziologische Betrachtungen einem Studiencharakter. Aber gerade, weil dort die Jugendlichen mit ihren Geschichten auch aus der Anonymität von Fakten und Zahlen heraustreten können, ist eine persönliche Betroffenheit spürbar.
Aus dieser Betroffenheit heraus mag dieses Buch vielleicht auch zu einer sozialpolitischen Diskussion anregen. Denn ist das in diesem Buch dargestellte Engagement für Jugendliche, die in Konflikte und Nöte geraten sind, eine "Schweizer Spezialität"? Gerade in den letzten Jahren mussten in Österreich viele der zuständigen Institutionen starke finanzielle und personelle Einbussen erleiden. Aber Jugendliche, die in derartige Schwierigkeiten geraten, wo oft nur noch institutionelle und professionelle Hilfe einen tragischen Verlauf abwenden kann, sind nicht nur eine soziale Angelegenheit. Auch uns sollten sie wertvoll sein.
Mit diesem Werk schafft Hans-Werner Reinfried einen sehr umfassenden und sensiblen Einblick in die schwierige Arbeit mit straffälligen Jugendlichen. Es ist ein Buch, das ich jedem, der mit Jugendlichen arbeitet, aber vor allem auch in die Hand von politischen Entscheidungsträgern in Österreich wünsche.
Maria Tutsch-Steurer, Pädagogin und Psychotherapeutin, Gesellschaft Politik, Zeitschrift für soziales und wirtschaftliches Engagement, Wien
Vom «Lausbubenstreich» bis zum schweren Verbrechen
Die Psychologie jugendlicher Straftäter
ekk. Jugendliche befinden sich in einer Lebensphase der Neuorientierung. Viele sind mit ihrer eigenen Entwicklung während der Pubertät, mit den Anforderungen, welche die Gesellschaft an sie stellt, mit der Berufswahl und oft auch mit der familiären Situation überfordert. Manche junge Menschen geraten auf die schiefe Bahn, bewegen sich in den Augen der Erwachsenen in schlechter Gesellschaft, fallen aus der Norm und verstossen gegen Gesetze. Die Bandbreite der Delikte, die Jugendliche begehen, reicht vom «Lausbubenstreich» bis zum schweren Verbrechen.
Hans-Werner Reinfried, Fachpsychologe für klinische Psychologie und Psychotherapie in Uster, schildert in seinem Buch «Schlingel, Bengel oder Kriminelle?» Fallbeispiele aus seiner Praxis. Im Mittelpunkt stehen die Geschichten von 26 Heranwachsenden, die wegen einer kriminellen Handlung von der Polizei vernommen, vom Jugendanwalt angehört und Reinfried schliesslich zur Begutachtung zugewiesen wurden. Der Autor plädiert im Vorwort für ein individuelles Eingehen auf die Bedürfnisse und die Entwicklung von Jugendlichen. Nur selten habe er bei ihnen Anzeichen gefunden, die zwingend auf eine kriminelle Laufbahn hingedeutet hätten. Sie alle seien jedoch in Gefahr gewesen, ihre eigene Entwicklung zu behindern. Mit ambulanter Hilfe sei vielen Jugendlichen besser gedient als mit einer stationären Umgebung; und die Offenheit des schweizerischen Jugendrechts erweise sich als günstige Voraussetzung für die Planung individueller Massnahmen.
Mit den 26 Fallberichten bietet Reinfried dem Leser einen spannenden Einblick in seine Arbeit und in die Gemütsverfassung der Jugendlichen, die er behandelt. Die Delikte, die sie begangen haben, reichen von Diebstählen über sexuelle Übergriffe bis hin zu Raubüberfällen. Manchmal genügt als psychologische Begleitung eine «Kurzintervention», die wenige Sitzungen umfasst, manchmal sind erzieherische, ambulante oder stationäre Massnahmen und Psychotherapien notwendig. Der Autor befriedigt mit der detailreichen Schilderung der Umstände, der Familienverhältnisse und der Delikte ein Stück weit den Voyeurismus der Leserschaft, wobei freilich die Namen, Ortschaften und andere Angaben, die zur Identifikation der Jugendlichen führen könnten, verändert oder weggelassen wurden. Ohne diesen «Schlüsselloch-Effekt» würden die Geschichten indessen an Nähe und Anschaulichkeit verlieren.
Einleitend und abschliessend stellt der Fachpsychologe, basierend auf seinen Erfahrungen aus der Praxis, grundsätzliche Überlegungen an zum Umgang mit verhaltensauffälligen oder straffälligen Jugendlichen. So widmet er sich unter anderem dem Sinn der Strafe und stellt fest, dass die Androhung von Strafe im Allgemeinen eine stärkere Wirkung hat als deren Ausführung. Die meisten Jugendlichen stellten sich eine Bestrafung schlimmer vor, als sie sei. Allerdings komme auch das Gegenteil vor. Reinfried spürt in seinem Buch viele interessante Aspekte und Widersprüche auf. Simple Lösungen liefert er nicht.
Neue Zürcher Zeitung
Geschichten von Halbstarken: Bei straffälligen Jugendlichen finden sich nur selten Anzeichen, die "zwingend auf eine kriminelle Laufbahn hingedeutet hätten". In ihren Zielen unterscheiden sich viel kaum von den meisten Erwachsenen. Es ist der "Traum vom ewigen Müssiggang". Die Ziele der Wohlstandsgesellschaft locken auch die jungen Outlaws: schnelle Autos, Geld und schöne Frauen. Der Psychologe Reinfried schreibt von Max, Zekirja, Basil, Celestine, Luca und ihrem ungebremsten Leben im Augenblick. Was ist ihr Werdegang? Wie ist es zu ihrer kriminellen Entwicklung gekommen? Was sind eigentlich die Unterschiede zwischen jugendlichen Dieben, Räubern, Sexualstraftätern udn Gewalttätern?
Statistiken finden sich auf den rund 300 Seiten keine. Sie verstecken sich zwischen den klugen Zeilen, denn über sein realitätsnahes Bild der Wirklichkeit vermittelt der Autor ein Gespür für die feinen Unterschiede zwischen kriminell und "wohlanständig", zwischen kriminell und kriminell.
Stammtischparolen wirken hohl angesichts der Besonderheiten jedes einzelnen Falls. Harte Strafen bringen wenig, nicht selten schaden sie. Allerdings vermisst der Autor erzieherisches Engagement und Kompetenz. Die grösste Gewaltbereitschaft findet Reinfried nämlich bei Jugendlichen, die "nie auf grösseren erzieherischen Widerstand gestossen waren".
Fazit: Klug und gut! über den individuellen Fall zu einem tiefen Verständnis von (Jugend-) Kriminalität.
Dr. Stefan Rusche, Wissenschaftsjournalist
Die "problemata" erscheinen seit 1971 und werden von Günther Holzboog herausgegeben. "Die Reihe versteht sich als Marktplatz, auf dem akute Probleme und Interessen offen - nach den Spielregeln der Wissenschaft, aber frei von Fachgrenzen - verhandelt werden", so der Klappentext. In diesem Band gibt der psychoanalytisch ausgebildete Psychologe und Psychotherapeut Hans-Werner Reinfried, der über langjährige Erfahrung in der schweizerischen Jugendgerichtspflege verfügt, anhand von anschaulich und einfühlsam vorgestellten Fallberichten einen Einblick in psychotherapeutische Prozesse in der Begutachtung und ambulanten Betreuung von Jugendlichen im Rahmen seiner Praxis in der Schweiz. Das Buch wendet sich in allgemein verständlicher Sprache an alle, die innerhalb des Jugendstrafrechts tätig sind. Das Vorwort zu diesem Band hat der Kinder- und Jugendpsychiater Reinhardt Lempp geschrieben.
Seine Falldarstellungen hat Reinfried in drei Kapitel unterteilt: Psychologische Kurzinterventionen ohne weitere Massnahmen, Begutachtungen und empfohlene, erzieherische, ambulante oder stationäre Massnahmen, Psychotherapie und psychologische Betreuung. Jedes Kapitel endet mit spezifischen abschliessenden Bemerkungen, die ausgesprochen hilfreich sind für professionell mit kriminellen Jugendlichen arbeitende Fachkräfte.